Nah beim Menschen
Sie leisten Ungewöhnliches, meistern Schwieriges, leben besonders: »Einzigartige Menschen« heißt unsere Porträtserie. Es geht um spezielle Lebensgeschichten aus dem Kinzig- und Harmersbachtal, die Sie jede Woche immer dienstags auf dieser Seite finden. Heute: Kapuziner-Bruder Karl Löster aus Zell a. H..
Es ist nur eine kleine Geste, und doch: Die Art und Weise, wie Bruder Karl Löster in seinem Büro das Mineralwasser aus der Flasche in die auf dem Besuchertisch platzierten Trinkgläser schenkt, die hat etwas Zelebrierendes. Die zeugt von einer ganz eigenen Art der Aufmerksamkeit dem Menschen gegenüber.
»Ein bisschen Aufmerksamkeit, das ist das Wichtigste«, bestätigt der 65-Jährige, der als Guardian seit neun Jahren das Zeller Kapuzinerkloster leitet, sich von seinen Oberen damals um der Seelsorge willen hierher versetzen ließ. Ein Kapuzinerkloster in Salzburg hatte er zuvor geleitet, eingespannt in die Ausbildung von Novizen.
In ausgeprägt seelsorgerischem Kontakt mit den Menschen hatte der studierte Theologe und Pädagoge hingegen während seines vorherigen beruflichen Wirkens gestanden, als Leiter eines Klosters zum Mitleben, »für Mann und Frau, für Jung und Alt, für jede Konfession.« Davor wiederum führte er ein Jugendbegegnungshaus. Und in seinem Ordensberuf begonnen hat er als Erzieher in einem Kapuzinerinternat, drei Jahre später bereits leitete er dieses – mit da schon prägender Handschrift. Indem er mit Schülern, Lehrern und Eltern eine Schulseelsorge aufbaute.
Seelsorge, das bedeutet Bruder Karl, als Mensch beim Menschen zu sein. Für die Freuden, die Nöte, die Sorgen des Alltags also: »Denn das ist das Erste, was Jesus Christus uns gebracht hat – nicht so ein Gott von oben runter, sondern Christus als Mensch, ganz nah beim Menschen.« Wobei Seelsorge eine entlastende Aufgabe hat, die oft im Gespräch stattfindet. »Da kann man dann manchmal zum Mülleimer werden«, lächelt er.
Wie er mit dem bei ihm abgeladenen »Müll« umgehe? Jetzt lacht der am Chiemsee geborene Sohn sudetendeutscher Heimatvertriebener: »Wie ein richtiger Müllarbeiter, der stapelt ihn ja auch nicht zu Hause.« Will heißen: Manchmal gibt er ihn im Gespräch mit Mitbrüdern ab, vor allem jedoch an den, den er in aller Natürlichkeit den »lieben Gott« nennt.
Was der zudem als Soziotherapeut und Focussing-Begleiter Ausgebildete in seiner seelsorgerischen Beratung jedoch konsequent vermeidet, ist, Lösungen vorzugeben. »Nicht ich kann dir sagen, was jetzt kommt. Aber hör mal in dich hinein: was ist denn da?« beschreibt Bruder Karl seinen Ansatz, dem anderen zu helfen, »den nächsten guten Schritt zu finden.«
Tiefes psychologisches Gespür spricht aus seinen Worten. Die bahnbrechenden Werke des Psychoanalytikers Sigmund Freud hat er, der schon als Zehnjähriger ohne Wenn und Aber Pfarrer werden wollte, bereits in der Jugendzeit gelesen. »Für mich war es immer wichtig, mich in die anderen hineinzudenken«, resümiert Bruder Karl.
»Wachsen lassen« lautet denn auch sein Lebensmotto, »auch wenn es gar nicht fromm klingen mag«, lacht er erneut sein leises Lachen. Und »wachsen lassen«, das bezieht sich nicht nur auf eine tief achtsame Art des Helfens, sondern auch auf ihn selbst, seine persönliche Entwicklung, seine eigenen Schritte. Immer vor dem Hintergrund, als »franziskanischer Mensch« den Menschen verfügbar zu sein.
Kraft für eine solch bedingungslose Verfügbarkeit holt er sich am Morgen, in jener halben Stunde der Stille, wie sie im Kapuzinerbrauch üblich ist. Doch es gibt noch eine gänzlich andere, nicht weniger wichtige Form der Stille für ihn. Dann nämlich, wenn er quer durch den Wald läuft und Marathon trainiert.
Etwa 30 Medaillen hängen an einem Haken in seinem Büro, genauso viele Marathonläufe hat er hinter sich, durchschnittlich einen pro Jahr. Um den Wettkampf gegen sich selbst geht es dabei zum einen. »Aber früher war es auch ein Ehrgeiz, das Besserseinwollen als der andere«, gibt der Ausdauersportler freimütig und mit breitem Schmunzeln zu. Noch immer läuft er die 42,2 Kilometer weit unter vier Stunden.
Was für den Normalbürger mörderisch, ist für den Bruder, der für Marathonkollegen schon auch mal im Trainingsanzug predigt, eine Quelle der Eingebung und Inspiration. Entsprechend kräftig sprudelt die Kreativität – ob das nun das Gestalten von Predigten betrifft oder aber Projekte, wie das zuletzt neu zu gestaltende Programmheft fürs Haus der Begegnung. Denn neben seiner Arbeit in der Seelsorgeeinheit, aber auch in der Wallfahrtsseelsorge, leitet er nicht nur das Kloster, sondern organisiert zudem das vielfältige Kursangebot im Haus der Begegnung.
Und so zeugt das Titelbild des neuen Programmheftes einmal mehr davon, dass Bruder Karl einer ist, der es anders macht als die anderen. So war das um 1990, als er in den großen deutschen Tageszeitungen erstmals eine – kostenlose – Werbekampagne für den Ordensberuf schaltete. Für erhebliches Aufsehen sorgte das, in sämtlichen Medien.
Und so war das auch schon bei seiner Priesterweihe. Da legte er für sich das Bekenntnis ab, niemals in ein Funktionieren hineingeraten zu wollen. Stattdessen: Stets ein Anfänger im Sinne eines Lernenden zu sein, der anderen zu lernen hilft. Im Zuge neuer Aufgaben wird er Zell daher zum Jahresende verlassen.